Das blaue Buch

Gerade als Wittgenstein mir, seinem vertrauten Adlatus, die letzten Zeilen seines neuen Buches diktiert hatte, rief seine Putzfrau, die wie so manches Mal wieder einmal für den ansonsten strikt Misogynen kochte:
„Herr Professor, gewiss mögen Sie heute die Forelle blau, nicht wahr?“
Das verdross Wittgenstein, konnte er doch Forelle blau nicht leiden und bestand er doch stets darauf, sie nach Müllerin-Art zubereitet zu bekommen.
Da musste ich einschreiten!
Das Manuskript in Händen stürzte ich in die Küche, stolperte über einen quergestellten Besen, den die Putzfrau, die alte Hexe und Köchin, dort geparkt hatte, und schon flatterten die 156 Seiten edelsten Denkens und Dichtens in den sauren Sud - Gott sei Dank, bevor die Forelle hineingeworfen worden war.
„Oh Jesus“, rief die Alte, „was machen wir denn jetzt?“
Wittgenstein - weder Jesus noch Unmensch, noch transusiger Misanthrop - gab seiner Putzfrau-Köchin den Besen in die Hand, fischte die 156 Seiten eigenhändig aus dem Kochtopf heraus und meinte:
„Dann wird das eben ‚Das blaue Buch’. Wer kann sich schon rühmen, ein blaues Buch verfasst zu haben, Kant etwa, Husserl oder gar dieser ewig blaue Roth?“
Und schon schwang er sich - gehörig Abstand haltend, versteht sich - hinter der alten Hexe auf den Besen.
Gab es an diesem Tag eben einmal nichts zu essen.
Und hinaus ging's, durchs Fenster, über die Dächer und hinein ins Blaue, ohne dass sich Wittgenstein auch nur einmal nach mir umgedreht hätte.